Besuch einer holländischen Familie in Glinde
Vor einigen Wochen bekam die „Geschichtswerkstatt Zwangsarbeiterlager Wiesenfeld“ - Arbeitsgruppe der BI „Glinde gegen Rechts“ eine E-Mail aus Holland: Ein Neffe (70) eines ehemaligen Zwangsarbeiters des Lagers Wiesenfeld hatte im Nachlass seiner Ende letzten Jahres im hohen Alter verstorbenen Mutter bisher unbekannte Dokumente gefunden. Sie hatten seinem Onkel Albert gehört. Darunter Fotos aus den Jahren 1943/44, ein Fremdenpass, ein Werksausausweis des Kurbelwellenwerks Hamburg (KuHa) und ein handschriftlicher Brief vom Februar 1945 an seine Eltern und Geschwister.
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Die Dokumente weisen aus, dass Albert von Ende 1943 bis zur Befreiung im Mai 1945 im Lager Wiesenfeld, Baracke 18, untergebracht war. Er konnte nach Kriegsende, gesundheitlich angeschlagen, in seine Heimat zurückkehren. Leider verstarb er, vermutlich infolge der erlittenen Strapazen, bereits im Oktober 1945, mit gerade einmal einundzwanzig Jahren.
Sein Neffe, nach seinem Onkel ebenfalls Albert genannt, war von der Entdeckung der Dokumente völlig überrascht und bestürzt. Hatte er doch weder von seiner Mutter noch von irgendjemand anderem vom Schicksal seines Onkels erfahren. So beschloss er sich auf die Suche zu machen und unter dem Stichwort „Wiesenfeld“ im Internet nach Spuren zu forschen. Dabei kam er auf unsere „Geschichtswerkstatt“ und nahm Kontakt zu uns auf. Seine Idee: 70 Jahre nach Kriegsende Glinde/Wiesenfeld zu besuchen, um vor Ort nach Spuren und Überresten zu suchen. Es entstand ein reger Austausch zwischen uns, und am Ende wurde ein Besuch von Albert, seiner Frau, einem anderen Neffen und dessen Frau für die Zeit vom 6.- 8. Mai in Glinde verabredet.
Es wurde für uns alle eine bewegende, erfreuliche und informative Begegnung. Nach einem schönen Kennenlernabend in privater Atmosphäre mit erstem Wissensaustausch und der Sichtung von Dokumenten und Materialien, folgte am nächsten Tag ein Rundgang durch Glinde und Wiesenfeld (Gedenkplatte im Bürgerhaus, Denkmal im Gebiet der Alten Wache, „Stolperschwelle“), ein Treffen mit Heinz Juhre, Hobbygeschichtsforscher und ausgewiesener Kenner von Glinde und Wiesenfeld.
Weitere Informationen brachte der Nachmittag in der Kupfermühle, wo nicht nur viel dokumentarisches Material anzusehen war, sondern besonders auch eine sehr inhaltsreiche Bildpräsentation über das Kurbelwellenwerk von Gerrit Oswald. Er hatte im letzten Jahr zusammen mit H. Juhre und Dr. C. Walczok die beachtliche Ausstellung „Kurbelwellen aus
Glinde“ im Bürgerhaus gestaltet.
Am dritten Tag empfing in Vertretung des Bürgermeisters Glindes Bürgervorsteher Rolf Budde, unsere Gäste im Rathaus. Im Namen der Stadt hieß er die Angehörigen des ehemaligen Zwangsarbeiters herzlich willkommen und überreichte ihnen ein Buchgeschenk über die „Europa-Stadt Glinde“. Es entspann sich ein lebhaftes Gespräch mit den Gästen, an dem auch der Stadtarchivar Dr. Walczok teilnahm. Anschließend konnten wir im Archiv der Stadt noch eine Reihe von Bildern, insbesondere Fotos aus der Lagerzeit und von holländischen Gruppen ansehen. Die von Alberts Angehörigen mitgebrachten Dokumente fanden großes Interesse auf unserer Seite und sind dem Bestand unserer Unterlagen nun als Kopien hinzugefügt worden.
Am Ende beendete ein kurzer Besuch der Ausstellung über „Zangsarbeit in Glinde“ von H. Juhre, anlässlich des Friedensfestes am 8. Mai im Gutshaus, den Besuch unserer Gäste. Erfüllt von vielen Eindrücken und Anregungen fuhren sie dann wieder nach Haus.
Wir bleiben in Verbindung und hoffen, dass die Idee der Neffen, in ihrer Umgebung nach weiteren Zeitzeugen bzw. Angehörigen von ehemaligen Zwangsarbeitern und Dokumenten zu suchen, sich verwirklichen lässt – sie haben beim Studium hiesiger Unterlagern, etliche Anknüpfungspunkte dafür gefunden. Bisher hat es solche Bemühungen in Holland kaum gegeben.
Für uns als Geschichtswerkstatt war der Besuch unserer holländischen Freunde ein Höhepunkt unserer bisherigen Arbeit und neuer Ansporn, am Ball zu bleiben.
Wir treffen uns übrigens in der Regel einmal im Monat im Gemeindehaus der evangelischen St. Johannes-Kirche. Kontakt: hjpreuss@web.de
Hans-Jürgen Preuß, Geschichtswerkstatt Zwangsarbeiterlager Wiesenfeld